Rückenschmerz ist nicht nur eine Volkskrankheit, sondern mittlerweile eine regelrechte Epidemie. Es gibt immer mehr Menschen mit chronischen Rückenbeschwerden.
Woran liegt das?
Immerhin gibt es heutzutage viel weniger Arbeitsplätze, an denen schwer gehoben oder getragen werden muss (Allerdings auch mehr Sitzarbeitsplätze, Handys und seltsame Kleidung, die die krumme Haltung fördern).
Ich sehe zwei wichtige Gründe für die aktuelle Rückenschmerz-Epidemie:
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Es gibt verbreitet eine andere Einstellung zu Rückenschmerzen als früher. Früher wurde Rückenschmerz nicht so ernst genommen wie heute. Die Betroffenen wurden
oftmals sogar ein wenig auf die Schippe genommen. Typische Sätze von damals : „Na, hat dich die Hexe getroffen“ „Du bist doch viel zu jung für Rückenschmerzen“.
Dieser burschikose Umgang war möglicherweise besser und führte zu einer schnelleren Genesung als die Aufgeregtheit von heute. Ein typischer Satz von heute lautet nämlich: „Du musst unbedingt sofort zum Arzt, oder zum Physiotherapeuten, zum Osteopathen oder in die Notaufnahme“
Man vertraut weniger auf die Spontanheilung, also darauf, dass die Rückenschmerzen sich von alleine wieder geben. Die Spontanheilung ist bei Rückenschmerzen aber hoch. Statt stundenlang in der Notaufnahme zu sitzen, kann man oftmals besser abwarten und Tee trinken.
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Die andere Seite besteht darin, dass Ärzte den Patienten immer weniger helfen können, wenn diese in der Praxis oder in der Notaufnahme vorstellig werden.
Oftmals wird dort nur ein Medikament verschrieben und der Patient in ein paar Wochen wieder einbestellt. Was soll das?
Früher war fast jeder niedergelassene Orthopäde in Manualtherapie/Chirotherapie ausgebildet. Heute gibt es immer mehr, vorwiegend operativ ausgebildete Orthopäden, die diese Behandlungsformen überhaupt nicht beherrschen und auch keine Injektionstherapie mehr anbieten. Die zu niedrige Honorierung der Praxisärzte und der Zeitfresser Bürokratie sind weitere Gründe dafür, dass heutzutage die Rückenbehandlung in den Praxen im Durchschnitt nicht mehr die Qualität der 70 und 80er Jahre erreicht.
Im Resultat haben wir heute viel mehr chronische Rückenpatienten. Wenn es gut läuft, werden sie heutzutage mit multimodaler Therapie in spezialisierten Zentren behandelt, was ein Fortschritt gegenüber früher ist.
Aber sehr oft führt die Chronifizierung dazu, dass die Patienten überflüssige Operationen erhalten oder andere Therapien, die auf Dauer Probleme bereiten wie die verbreitete Opioidtherapie bei chronischen Rückenschmerzen.
Was könnte man verbessern?
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Erstens die Einstellung zum Rückenschmerz verbessern. Heilversprechen wie „Nie wieder Rückenschmerz“ tragen zum Problem bei. Es wäre eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe, aber vor allem von Ärzten, Therapeuten und der Presse, die Illusion von einem komplett schmerzfreien Leben zu hinterfragen und sich für einen realistischen
und gelassenen Umgang mit Schmerzen einzusetzen.
Die wichtigste Aufgabe der Behandler und der Öffentlichkeit wäre es, auf die Verbreitung unnötiger Ängste zu verzichten. Angst vor Rückenschmerzen und Angstvermeidungsverhalten sind die wichtigsten Faktoren der Chronifizierung von Rückenschmerzen. Sehr kontraproduktiv war in dieser Hinsicht die klassische Rückenschule.
Ich habe schon 1996 auf dem Deutschen Orthopädenkongress einen Vortrag gehalten mit dem Titel: „Welche Rückenschulregeln sind wissenschaftlich begründet?“ Die Antwort: Die meisten Rückenschulregeln sind es nicht! Im Gegenteil: Rückenschulregeln schürten oft unnötige Ängste vor Bewegung und vor Rückenschmerzen. Absurde Gebote wie die, immer aus den Knien zu heben, trugen zur Vermeidung von Bewegung bei. Noch bizarrer war der Ratschlag, auf das Brustschwimmen zu verzichten und stattdessen nur noch auf dem Rücken zu schwimmen.
In der Folge verzichteten viele Patienten komplett auf das Schwimmen.
Wir müssen wieder zu einem vernünftigen Umgang mit dem Rückenschmerz kommen!
- Zweitens muss die Akutbehandlung verbessert werden. Dazu gehört auch, dass die konservative (nichtoperative) Orthopädie ein stärkeres Gewicht in der Weiterbildung junger Ärzte erhält.
Die wichtigste Maßnahme aber ist es, den Patienten geeignete Eigenübungen zur Selbstbehandlung zu vermitteln.
Mein Beitrag dazu wird ein Buch sein, das ich gerade fertig geschrieben habe. In dem Buch geht es auch darum, wie und wie lange man sich selbst behandeln kann
und wann man mit seinen Beschwerden einen Arzt aufsuchen sollte.
„Die besten Eigenübungen und ärztlichen Strategien gegen akute Rückenschmerzen“
Das Buch wird im März beim Verlag Ellert und Richter erscheinen