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Praxen oder Kneipen?

Der November ist zu Ende, sämtliche Honorarbescheide der niedergelassenen Ärzte wurden bereits versandt, empfangen, gelesen und beklagt. Von Hilfen für die Praxen, wie sie andere Branchen erhalten, keine Spur. Auch für die MFA ist keine finanzielle Anerkennung für den Einsatz in der Pandemie durch staatliche Stellen in Sicht.

 

Eine Kollegin, die wie viele andere die Nase voll hatte und ihre Kassenzulassung zurückgeben und ausschreiben lassen will, ohne für die Praxis schon einen Nachfolger gefunden zu haben, berichtete mir, dass im Zulassungsausschuss mit erheblichen Wartezeiten zu rechnen sei. Eine Flut von ähnlichen Anträgen sei in den letzten Monaten eingegangen, die zuständige Abteilung habe mitgeteilt, dass sie mit den Abgabewünschen komplett überlastet sei.

 

Seit Jahren weiß jeder, der klar denken kann und will, dass ein massenhafter Ausstieg niedergelassener Ärzte droht, wenn sich die Lage der Praxen nicht verbessert. Es ist ein bisschen so wie bei den Virologen, die ebenfalls seit Jahren vor einer globalen Pandemie warnten und hinzusetzten, es sei nur die Frage wann, nicht ob sie auftrete.

 

Wegfall von Praxen scheint Politik nicht zu stören

 

Jetzt hat man den Eindruck, die „erste Welle“ des Exodus der niedergelassenen Ärzte könnte unmittelbar bevorstehen. Zu verdenken wäre es keinem der ärztlichen Kollegen. Honorare, die seit Jahren real sinken, und bürokratische Zumutungen in immer schnelleren Eskalationsschritten. Mangelnde Wertschätzung durch Politik und Öffentlichkeit sind nicht nur die Begleitmusik, sondern auch das i-Tüpfelchen auf dem täglichen Irrsinn der Zumutungen für niedergelassene Ärzte.

 

Der Wegfall vieler Praxen scheint die Politik nur wenig zu stören. Auch die obersten KV Vertreter zeichnen sich nicht durch Übereifer bei der Vertretung ihrer Mitglieder aus. Die AOK und ihre Freunde hält die Sorge um ein Praxissterben sowieso für „Panikmache“, auch dies eine Parallele zu der anderen Pandemie.

 

Mehr Sorgen um Gastronomie?

 

Um die Gastronomie hingegen scheinen sich Politik, Gesellschaft und selbst KV Spitze mehr Sorgen zu machen als um die Praxen. Dabei geht es denen gar nicht so schlecht, wie „der Spiegel“ in seiner neuesten Ausgabe beschreibt.

 

Im Unterschied zu den Praxen erhalten die Gastronomiebetriebe großzügige Ausgleichszahlungen für entgangene Umsätze. Das scheint der Preis zu sein, den die Politik gewillt ist zu zahlen, um ein Kneipen und Restaurantsterben in den Städten zu verhindern. Es ist ja auch nicht zu leugnen, dass Gastronomie ein wesentlicher Teil der Lebensqualität ist und der Wegfall der letzten Dorfkneipe für einen Ort ein echtes Verhängnis ist.

 

Lage in Hamburg

 

In Hamburg wie in vielen anderen Städten aber sieht es durchaus anders aus. Es ist nur wenige Jahre her, dass ein bekannter Restauranttester in der Presse zitiert wurde mit seiner richtigen Diagnose, dass Hamburg viel zu viele Gaststätten hätte. Eine Bereinigung sei für Wirtschaftlichkeit und Qualität unumgänglich.

 

Deshalb ist es nicht zu verstehen, dass Gastrobetriebe so viel großzügiger als Praxen behandelt werden. Wie „der Spiegel“ schrieb, werden den Unternehmern 75 Prozent des Umsatzes ersetzt. Grundlage sind die Erlöse im November 2019. Da die Betriebe aber keinen Wareneinkauf haben, bleibt bei vielen ein größerer Gewinn übrig als in Normalzeiten.

Zwei Gruppen von Gastronomiebetrieben

„Der Spiegel“ zitiert einen Hamburger Gastronomen, der im November 85.500 Euro vom Staat erhält und dem davon 14.000 Euro Gewinn bleiben. Es sei ihm gegönnt. Denn Voraussetzung für die Hilfe ist natürlich eine korrekt abgegebene Steuererklärung und eine korrekte Angabe des Umsatzes. 

 

Bekanntlich gibt es in der Gastronomie aber zwei Gruppen von Betrieben, die beim Umsatz schummeln.

 

Die eine Gruppe besteht aus denjenigen, deren Geschäft eher prekär ist und die sich unter selbstausbeuterischen Bedingungen gerade so über Wasser halten und deswegen einiges an der Steuer vorbei machen. Diese Gruppe, zu der vielleicht auch der eine oder andere besonders gierige Besitzer eines gut laufenden Ladens gehört, erhält jetzt natürlich auch weniger Ausgleichszahlungen als die ehrlichen Steuerzahler unter den Gastronomen. Das ist der Fluch der bösen Tat

 

Viele Geldwaschanlagen

 

Die andere Gruppe, die beim Umsatz betrügt, sind die Etablissements, deren Hauptzweck nicht die Bewirtung von Gästen, sondern die Verwandlung von illegalen in legale Einkünfte ist, also die berühmten Geldwaschanlagen. Sie übertreiben ihren Umsatz und profitieren jetzt von den Hilfszahlungen in besonderem Maße.

 

Wenn man in einer Stadt mit einem so gewaltigen Kneipenüberschuss wie Hamburg unterwegs ist, trifft man erstaunlich häufig auf Restaurants und Kneipen, bei denen sich der Eindruck geradezu aufdrängt, hier würde weniger gekocht als gewaschen.

Ausschüttungen sind ein Fehler

Diese Filialen des organisierten Verbrechens werden durch die Corona-Novemberhilfe mit einem besonders warmen Regen staatlichen Geldes überschüttet. Und wie jetzt bekannt wird, gibt es nicht nur diese klandestine Förderung, sondern auch ganz offen großzügige Zahlungen für Bordellbetriebe. Es scheint Leute in der Politik zu geben, die so etwas für eine Förderung der Innenstädte halten. 

Spätestens hier zeigt sich der Fehler des gießkannenartigen Ausschüttens von Corona-Kompensationszahlungen, für die später natürlich die „Besserverdienenden“ solidarisch zur Kasse gebeten werden.

 

Diskrepanz "kaum zu ertragen"

Ich will den ehrlichen Steuerzahlern unter den Gastrobetrieben ihren Novemberzusatzgewinn ja durchaus gönnen. Aber die Diskrepanz dieser staatlichen Spendierlaune zu der schofeligen Art, mit der der „Schutzwall“ der Pandemiebekämpfung abgespeist wird, ist kaum zu ertragen.

 

Der Staat hat eine Neglect-Symptomatik was den Nutzen der ambulanten Medizin angeht. Er sieht ihn nicht, er kümmert sich nicht um die, die Alles am Laufen halten. Die Bürger werden das erst beginnen zu verstehen, wenn die erste Welle des Praxis-Exodus ins Rollen gekommen ist.

06.12.2020 08:40, Autor: Dr. Matthias Soyka, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG

Quelle: https://www.aend.de/article/209277