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Annalena Baerbock bläst sich auf

Beim Plagiieren erwischt, Nebeneinkünfte nicht angegeben, beim Lebenslauf geschummelt. Die Blamagen, die die grüne Kanzlerkandidatin zurzeit erleidet, können heftige Fremdschämattacken auslösen. Bei mir riefen sie zudem eine länger zurückliegende Veranstaltung in die Erinnerung zurück.

 

Ich war als Referent zu einer Veranstaltung geladen, deren Teilnehmer und Referenten fast ausnahmslos der Hamburger grün-alternativen Szene entstammten. Mein Konzept von Eigenübungen wurde von den Organisatoren zurecht für eine Art von Naturheilkunde gehalten, was mir die Ehre einbrachte, dort sprechen zu können.

 

Dass ich mich nach fast zwanzig Jahren noch daran erinnern kann, liegt an zwei Dingen, über die ich mich damals sehr amüsieren konnte. 

 

Zum einen war ich erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit und welchem Selbstbewusstsein die meisten Zuhörer paramedizinischen Vorstellungen anhingen. Im Nullkommanichts war ich als Vertreter der Schulmedizin geoutet und schwersten, in ihrer Naivität aber auch fast niedlichen Anwürfen ausgesetzt. Dass ich empfahl, doch einfach einmal

Diclofenac zu nehmen, wenn das beliebte Enzympräparat nicht wirkt, führte schon zu großer Aufregung. Aber dass in bestimmten Fällen von Arthritis eine Cortisoninjektion helfen könnte, brachte einige Zuhörer an den Rand

des Nervenzusammenbruchs. 

 

Phantasie-Qualifikationen

 

Richtig lustig allerdings war das Verzeichnis der Referenten dieser Vortragsreihe. Ich selbst war mit drei Worten angekündigt („Orthopäde und Buchautor“), was ich völlig in Ordnung fand. Zwar finden sich zuhause in meinem Dokumentenordner drei Facharzturkunden und fünf Urkunden für Zusatzbezeichnungen. Aber es wäre mir eher unangenehm, diese in die Berufsbezeichnung in einem Referentenverzeichnis zu quetschen. Auch mein Angelschein hat da ja nichts zu suchen.

 

Die anderen Referenten schienen das anders zu sehen. Bei den meisten reichten fünf Zeilen für die Berufsbeschreibungen im Programm nicht aus. „Heilpraktiker“, „Thai-Chi-Lehrerin“, „Reiki-Meisterin“, „Rolfing-Instruktor, „Schamanischer Heiler“ und vieles mehr in allen möglichen Kombinationen.

 

Damals wurde mir einiges über diese Szene klar, was ich seitdem immer wieder beobachte: Einerseits pflegen deren Mitglieder eine profunde Verachtung für echte, in jahrelanger Arbeit erworbene Qualifikationen. So wird der Doktortitel generell weggelassen und Facharztbezeichnungen gelten dort wenig bis nichts.

 

Andererseits wird jeder eigene kleine Lehrgang, der jemals besucht wurde, zu einer Legitimation, sich als Spezialist und Autorität in dem jeweiligen Spezialgebiet zu fühlen, egal wie abwegig es sei. Ersatzweise lässt sich auch ein völliger Phantasie-Titel wie Spezialist für Systemisches Dies und Das generieren. Je weniger die Berufskarriere vorzuweisen hat, umso umfangreicher scheint die Liste der Phantasie-Titel zu wachsen. Viele Angehörige dieser Szene haben bürgerliche Berufskarrieren und die damit verbundene Anstrengung weitgehend vermieden, sind aus Beruf und Ausbildung ausgestiegen oder haben gar nicht erst damit angefangen.

 

Sie hangeln sich von Projekt zu Projekt, oder leben von Kursen, die sie geben. Wenn es richtig gut kommt, winkt irgendwo eine Stelle als Beauftragter*in oder Assistent*in eines Mandatsträgers.

 

Sehnsucht nach Anerkennung

 

Obschon sie wenig echte Leistungen im wirklichen Leben vorzuweisen haben, sehnen sie sich doch wie alle Menschen nach Anerkennung. Das ist aber kein echtes Problem für sie: Denn statt unnötigen Stress zu verursachen, lässt sich die gewünschte Anerkennung auch praktischerweise in der Szene selbst verschaffen. Man könnte von einem Paralleluniversum sprechen, wäre dieser „Lebensentwurf“ nicht so weit verbreitet- und zwar in allen Parteien. Auch wenn er möglicherweise in der Anhängerschaft der grünen Partei besonders dominant ist, so beschränkt er sich keineswegs auf diese.

 

Der gesamte politische „Über und Unterbau“ bei allen Parteirichtungen ist durchzogen von diesen wenig tüchtigen Parallelkarrieren. In vielen anderen Fällen ist die Fernuniversität Hagen der Rettungsanker. In der grünen Szene scheint es darüber hinaus eine gewisse Präferenz für ganz eigenständige, kreativ benamte Berufsbilder zu geben.

 

Kann man für die Sehnsucht nach Wichtigkeit noch ein gewisses Verständnis oder Mitleid haben, so endet dies spätestens mit der Überheblichkeit, mit denen den Leistungsträgern der Gesellschaft begegnet wird. Als KFZMechatroniker oder Chirurg gilt man hier wenig, als Büroleiterin in Brüssel ist man dort der Star.

 

Aufgeblasenheit stoppt Kanzlerkandiatur

Der grünen Kanzlerkandidatin, die dieser Szene entstammt, wird jetzt Eitelkeit und Wichtigtuerei vorgeworfen.

Ich glaube, dass die Presse hier einmal weitgehend richtig liegt. Die Fehler im Lebenslauf von Annalena Beerbock entspringen dem Bedürfnis, ihre bisherige Lebensleistung und damit sich selbst maximal aufzublasen.

 

Zu ihrer Entschuldigung könnte man anführen, dass ihre nonchalante Beschönigung der oben beschriebenen

Gewohnheit ihres Umfeldes entspricht. Helfen dürfte es ihr nicht. Besonders peinlich wirkt im Nachhinein die Herablassung, die Baerbocks Co-Vorsitzender Habeck in einem Interview zu spüren bekam - und souverän weglächelte. Habeck, der ja immerhin ein echter Doktor der Philosophie ist, sei von Haus aus mit Hühnern, Schweinen und Kühemelken vertraut, während sie aus dem Völkerrecht komme, äußerte sich Baerbock in einem herablassenden Scherz, den ein Mann mit einer Frau lieber nicht gemacht hätte.

 

Dabei gereicht es ihr zum Vorteil, dass „Völkerrechtlerin“ genauso wenig eine geschützte Berufsbezeichnung ist

wie „Yogalehrerin“ oder „Feng-shui-Meister“. Selbst die Liste der Mitgliedschaften in Organisationen wurde für ihr Ego aufbereitet und aufgeblasen. Aus der Tatsache, dass sie für Flüchtlinge gespendet hat, wird eine Mitgliedschaft im UN-Flüchtlingshilfswerk fabriziert. Aus der einmaligen Teilnahme an einem Fellowship des German Marshall Fund wird die Mitgliedschaft im MarshallplanFund konstruiert.

 

Wie gesagt alles sehr peinlich und zum Fremdschämen, höhere Ämter dürfte Frau Baerbock sich damit vorerst versperrt haben. Wer kein Freund der Grünen und der Bürgerversicherung ist, wird das vermutlich nicht schlecht finden.

 

Parteikarrieren für die „Global Young Leaders“

 

Aber trotzdem ist das Ganze kein Grund zur Freude oder zur Entwarnung. Denn diese Plagiats-und Lebenslaufaffäre Baerbocks basiert ja auf der weitverbreiteten Art und Weise, wie junge Politiker in Deutschland ihre Karrieren organisieren. Nur durch die Aufgeblasenheit und Eitelkeit von Baerbock wird es in diesem Fall so kenntlich.

 

Das eigentlich besorgniserregend ist die Tatsache, dass die große Mehrheit der Nachwuchspolitiker überhaupt nicht anstrebt, auch nur für ein paar Jahre in einem vernünftigen Beruf oder in einem eigenen Unternehmen zu arbeiten. Stattdessen werden Jobs gesucht, die von den Parteien und letztendlich mit Staatsgeldern bezahlt werden.

 

Wie Baerbock sind die jungen Politiker am liebsten Assistent von Mandatsträgern oder in anderen parteinahen Arbeitsstellen untergebracht. Sie kommen so zu einem bequemen Auskommen und werden in das politische Netzwerk eingebunden.

 

Bei Baerbock kam noch der Dreh mit einem Promotionsstipendium der grünen Heinrich-Böll-Stiftung hinzu. Obwohl sie mit 40000 Euro eine Förderung erhielt, um die sie jeder andere Doktorand beneiden würde, lieferte sie die Promotion nicht ab. Man kann das auch als verdeckte Form der Parteienfinanzierung sehen.

 

Opportunismus, Untüchtigkeit und Weltfremdheit

 

Dieses System der Nachwuchsförderung hat den Effekt, dass neue Politikergenerationen gar kein anderes Denken kennenlernen oder erleben als das ihrer jeweiligen Parteiblase. Und sie sind auch binnen kurzem nicht mehr in der Lage, außerhalb ihrer geschützten Werkstätten zu existieren. Die Folge ist, dass sich diese „globalen jungen Führer“ vor allem durch Opportunismus, Untüchtigkeit und Weltfremdheit auszeichnen werden.

 

Daran sind natürlich auch wir anderen schuld, die einen Beruf haben und nicht daran denken, freiwillig nach Berlin oder anderswo zu gehen.

 

Aber auch das ist kein Zufall. Die Umgangsformen in der Politik und die Art, wie dort Entscheidungen gefällt und Karrieren entschieden werden, dürften die meisten normalen Bürger wirksam davon abschrecken, sich zu stark politisch zu engagieren. Der Vorteil für die Blase? Man bleibt unter sich.

 

 

11.07.2021 09:25, Autor: Dr. Matthias Soyka, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG

Quelle: https://www.aend.de/article/213176