· 

Lokführer streiken – sollen Ärzte ihnen nacheifern?

Die Lokführer streiken – und anscheinend nicht ganz uneffektiv. Wäre das nicht auch ein Modell für die Ärzte?

 

Die Probleme im Schienenverkehr sind denen im Gesundheitswesen nicht unähnlich. Auch aus diesem Grund beschäftigt mich der Streik der Lokführer.

 

Die Bahn ist mit mehr als 30 Milliarden Euro hoch verschuldet. Der Investitionsstau ist gigantisch. Seit dem Entschluss, die Bahn zu privatisieren und möglichst an die Börse zu bringen, wird auf Kosten der Fahrgäste und der Beschäftigten gespart. Zur Komplettierung des Desasters werden hochfliegende Pläne verfolgt und Geld zum Fenster hinausgeschmissen– diesmal nicht in Richtung Digitalisierung, sondern in die Beteiligung von meist verlustbringenden internationalen Logistik-Unternehmen. Statt die eigentliche Aufgabe der Bahn, den Transport von Gütern und Menschen, vernünftig zu erledigen, werden von der Bahnführung völlig unrealistische Ziele verfolgt.

 

Wie im Gesundheitswesen gibt es dafür einen hochbezahlten Vorstands- und Beratertross, der mit seinen Bull-shit-Jobs auf Kosten der Arbeitenden Milliarden scheffelt. Währenddessen macht eine Ja-Sager-Gewerkschaft, in denen die meisten Mitglieder nur noch aus Gewohnheit und Trägheit ihre Beiträge entrichten, der kleinen Truppe aus der GdL, die noch wirklich etwas bewegen will, das Leben schwer. Ebenso wie die Ärztegewerkschaft Marburger Bund sieht sich die Lokführergewerkschaft zudem einer unheiligen Allianz aus Politik und – ausgerechnet- DGB -Gewerkschaften gegenüber, die versucht, mit dem „Tarifeinheitsgesetz“ das Streikrecht auszuhebeln.

 

(Nicht zuletzt: Bislang gab es immer wieder Aufschreie, weil im Rahmen der Corona-Maßnahmen mal ein lautstarkes Rave oder ein Konzert mit einer berufsjugendlichen Oma etwas reglementiert wurden. Doch jetzt wird von verschiedenen Seiten das Recht der GdL zu streiken auch mit Verweis auf die Pandemie angegriffen. Ein Aufschrei gegen diesen Angriff auf ein wirklich wichtiges Freiheitsrecht ist nicht zu hören.)

 

Und während der bürokratische Wasserkopf mit Boni überschüttet wird, erhalten Lokführer ebenso wie die Medizinischen Fachangestellten keinen Corona-Bonus. Zudem will die Bahn die Betriebsrenten kündigen. Wenn das kein Grund zum Streiken ist. Mein Verständnis haben die Lokführer jedenfalls. 

 

Ich weiß, dass das nicht jeder so sieht. Viele halten die Lokführer für „privilegiert“, weil die etwas mehr verdienen als das andere Bahnpersonal. Wir Ärzte kennen solche neidischen Vorhaltungen. Dabei verdienen Ärzte wie Lokführer ihr Geld nicht aufgrund von Privilegien, sondern durch harte Arbeit, die nicht jeder verrichten kann.

 

Aber anscheinend ist das Vielen aus dem Bullshit-Job-Sektor ein Graus. Dass auch normale Menschen ganz ohne soziologisches Gerede und Controlling-Attitüde etwas mehr verdienen als der Durchschnitt, kann in deren Augen nicht gerecht sein. Auch deshalb vermute ich, dass viele Ärzte den Streik der Lokführer- wie ich - mit einer gewissen Sympathie

begleiten. Und ich weiß, dass nicht wenige Ärzte jetzt denken, dass man es genauso oder ähnlich machen sollte.

 

Kann der Streik der Lokführer ein Modell sein, dass sich die Ärzte zum Vorbild nehmen sollten?

 

Grund genug hätten wir allemal, aber könnten niedergelassene Ärzte das Mittel „Streik“ wirklich erfolgreich nutzen? Und was wäre die Alternative? Ich bin gespalten in dieser Frage. Der innere Konflikt lässt sich am besten in den Begrifflichkeiten der guten alten Freudschen Psychoanalyse schildern.

 

Mein Über-ICH zum Beispiel vertritt vehement die Meinung, dass ein Streik der Ärzte schon längst überfällig ist und man sich einem solchen nicht entziehen sollte. Das Ganze sei schon aus Gründen der Selbstachtung unausweichlich.

 

Mein ES stimmt dem spontan zu. Zu groß ist in der psychischen Instanz der archaischen Gefühle die Frustration über jahrzehntelange bürokratische Gängelung im Allgemeinen und den Wahnsinn von vier Spahnschen Jahren im Besonderen.

 

Doch das bewusste Ich hält dagegen und argumentiert, dass ein Streik keine Frage der Ehre ist, sondern nüchtern als Mittel gesehen werden sollte, die eigene Lage zu verbessern. Ob dieses Mittel wirklich die Erwartungen erfüllen kann, die nicht nur mein ES und mein Über-Ich, sondern auch viele Kollegen in es setzen. Davon wollen die beiden aber nichts hören.

 

Papperlapp“ kommt es wie aus einem Munde.

„Seit wann seit Ihr denn einmal einer Meinung?„Das ist häufiger als du ahnst“ grinst das Über-ICH.
„Eben unbewusst“ , feixt das ES.

Das Über-Ich redet sich inzwischen in Rage. Mit Mühe kann ich es davon abhalten, fiese und menschenfeindliche Aphorismen von Jack London über Streikbrecher zu rezitieren. Streiken sei eine Frage der Ehre, und diejenigen unter den Ärzten, die das nicht einsähen, seien unsolidarische Feiglinge.

Und natürlich folgt wieder einmal der Satz „Welche Berufsgruppe würde sich…“

Ich muss unterbrechen. „Ausgerechnet du,“ sage ich zum Über-Ich.

Du veranstaltest doch sonst schon ein Heidentheater, wenn das ES mal an einem Dienstagnachmittag zum Surfen will. „Sprechstunden kann man nicht einfach absagen.“ Das waren doch genau deine Worte.“

 

Das Über-ICH wird etwas kleinlaut. Aber erstaunlicherweise steht das ES seinem langjährigen Kollegen zur Seite.
„So kann es aber auch nicht weiter gehen. Irgendetwas muss man tun.“ 

 

„Was willst Du denn machen?“ fragt das Über-ICH mein bewusstes ICH.

„Na was wohl“, höhnt das ES. „Er schreibt mal wieder eine Kolumne“

„Ja genau“ , antwortet das bewusste ICH. "Die Sache muss genau nach Pro und Contra durchdacht werden.

Dafür brauche ich mindestens noch eine Woche.“ 

 

„Man kann aber auch nicht ewig nur reden“, kommt es aus der moralischen Ecke genauso wie aus dem Zentrum der Ungeduld.

 

„Habt Ihr eigentlich vergessen, dass ich gar keinen Kassensitz mehr habe?“ frage ich in die Runde.

Anscheinend haben die beiden das verdrängt.

Das Über-ICH war übrigens dagegen und das ES fand halbtags immer noch zu anstrengend. 

 

„Vielleicht ist gar nicht ein Streik, sondern der kollektive Verzicht auf die Zulassung, das Non-Plus-ultra“ kontert jedenfalls das bewusste ICH.

 

Über diesen Vorschlag bekommen sich das ES (dafür) und das Über-ICH (natürlich dagegen) sofort lautstark in

die Wolle. Na endlich. „Haltet jetzt einfach mal die Klappe“, ruft das ICH dazwischen. „Ich muss jetzt meine Kolumne schreiben."

 

„Da bin ich aber mal gespannt!“ Das Über-Ich muss wie immer das letzte Wort haben.

 

Die nächste Kolumne hat evtl. den Titel „Alle Räder stehen still- wenn Dein starker Arm es will“

 

 

15.08.2021 06:13, Autor: Dr. Matthias Soyka, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG

Quelle: https://www.aend.de/article/213725