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Behandelt Eure Ärzte besser!

Politiker sind gut darin, sich ankündigende Katastrophen zu verdrängen. Vom Klimawandel bis zur Pandemie, vom Vormarsch der Taliban bis zur Finanzkrise – man konnte es ja nicht ahnen, erst recht nicht sich darauf vorbereiten. Der

kommende Ärztemangel ist auch so ein Desaster mit Ansage, das trotz aller Vorzeichen aktiv verleugnet wird.

 

Dabei werden immer häufiger Kassenarztsitze nicht besetzt, und immer öfter bleibt die Suche nach einem Nachfolger erfolglos. Viel zu häufig bleibt als Ausweg nur der Verkauf an ein Konzern-MVZ.

 

Das sollten eigentlich Warnsignale genug sein. Aber die meisten Politiker winkten in den letzten Jahren müde ab.

Das sei alles nur Panikmache der Ärzte. Diese Haltung wird sich schon bald rächen. Deshalb folgen jetzt ein paar sachdienliche Hinweise für alle Ärztemangel-Leugner.

 

Mehr als ein Drittel der niedergelassenen Ärzte sind älter als 60 Jahre, sie werden schon bald in den Ruhestand gehen.

Sehr viele suchen bereits einen Nachfolger. Die Chancen, dass ihnen das gelingt, sind deutlich gesunken. Ein schönes

Beispiel: In meinem schleswigholsteinischen Heimatort schließt die Praxis des Hausarztes, den ich schon als Student kannte. Der Kollege, ein charismatischer Hausarzt der alten Schule, ist bei seinem Ausstieg gerade einmal achtzig Jahre alt. Ein Nachfolger fand sich nicht. Eine andere Praxis in dem 6.000 Seelen-Ort ist schon länger verwaist.

 

Deshalb fragte ich vor Jahren einen befreundeten Praxisvermittler, ob er vielleicht einen Arzt hätte, der eine Praxis in diesem

netten Ort übernehmen wolle. Die Antwort war: „Das kannst du vergessen.“

 

Alles Panikmache? Diese Haltung wird sich rächen.
Deshalb hier ein paar sachdienliche Hinweise für Ärztemangel-Leugner.

 

Im schönen Hamburg-Bergedorf hat sich nach Auskunft eines CDUPolitikers die Zahl der (Vollzeit-) Arztstellen gegenüber 2014 um 11 verringert, während der Stadtteil selbst stetig gewachsen ist. Schuld ist natürlich wieder die böse KV. Der Politiker erwähnt nicht, dass allein der Asklepios-Konzern 10" Arztsitze aufkaufte und gegen den Willen der KV in einen anderen Stadtteil verlegte, wo sie ihrer Funktion als Portalpraxis besser nachkommen konnten. Darüber, dass sich für einige Praxen in Bergedorf kein Nachfolger finden ließ, wird kein Wort verloren.

 

In Bergedorf wie in der ganzen Republik blenden Politik und Öffentlichkeit den Ärztemangel der Zukunft aus. So muss man sich nicht lange mit der Frage quälen, warum so wenige Ärzte eine Kassenpraxis kaufen wollen. Die Ursache des zukünftigen

Ärztemangels ist jedenfalls nicht das Fehlen von Medizinstudenten, denn die Studienplätze sind immer noch heißbegehrt. Aber viele Studierende werden gar nicht erst im Beruf arbeiten, und sehr viele sind nicht bereit, eine Praxis zu übernehmen.

Eine beliebte Erklärung dafür ist, dass die Lebensentwürfe anders geworden sind, die Medizin weiblich wird und die jungen

Ärzte Angst vor der unbekannten Niederlassung hätten.

 

An allen diesen Nebenproblemen mag etwas dran sein. Aber es ist doch nicht wahr, dass die jeweilige Generation XY per se

ziemlich lahm ist. Die sind durchaus zu flotten Leistungen fähig. Sie scheuen auch nicht das Risiko. Viele investieren sogar in Aktien. Auch der Satz von den anderen Lebensentwürfen und der Work-Life-Balance ist mehr Gerede aus dem

Feuilleton als eine Beschreibung der Realität. Dass Frausein und Selbständigkeit sich ausschließen, ist ebenfalls ein Gerücht.

 

Es gibt in den Kassenärztlichen Vereinigungen jede Menge Frauen, die erfolgreiche Praxen betreiben. Es stimmt zwar, dass sich der Anteil derjenigen erhöht hat, die in der Zeit, in der die Kinder noch zur Schule gehen, lieber als Angestellte

arbeiten. Aber warum finden sich nicht genug Ärzte, die diese Situation nutzen und einen Kollegen oder eine Kollegin anstellen wollen?

 

Die Antwort ist: Es lohnt sich oft einfach nicht.

 

Junge Ärzte meiden zunehmend die Niederlassung, weil das Risiko, die Anstrengung und die Sorgen, die mit einer Niederlassung verbunden sind, nicht mehr in einem akzeptablen Verhältnis zu den Verdiensten stehen.

 

Jetzt wirkt sich negativ aus, dass es für die niedergelassenen Ärzte über Jahrzehnte keine echte Honorarsteigerung

gegeben hat und dass noch nicht einmal der Effekt der Inflation ausgeglichen wurde. Auch wenn es in den zwei letzten

Jahren Steigerungen der Praxiseinnahmen vor allem im Rahmen des TSVG gegeben hat, so sind diese hart erkauft durch einen massiven Eingriff  in die innere Praxisorganisation, z.B. durch die offenen Sprechstunden. Dass jetzt Krankenkassen fordern, die Honorarsteigerungen aus dem TSVG durch neue „Bereinigungen“ rückgängig zu machen, fördert dabei

nicht das Vertrauen in die zukünftige Einnahmesituation.

 

Jeder junge Arzt weiß, dass viele Praxen nur mit den zusätzlichen Einnahmen aus der PKV zu führen sind. Die Einnahmen aus dem Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung sind anscheinend nicht so „berechnet“, dass sie alleine ein angemessenes Einkommen ermöglichen.

 

Daher sehen Jungärzte natürlich auch auf den Standort einer Praxis. Und daher dürften auch drohende Experimente mit einer Bürgerversicherung das Zutrauen der jungen Kollegen in ihre zukünftige wirtschaftliche Situation weiter erodieren.

Man kann über die Höhe des gerechten Arzteinkommens geteilter Meinung sein. Aber „am Markt“ setzt sich auf Dauer eine

andere, realistische Preisvorstellung durch. Diese orientiert sich an gut beschäftigten Rechtsanwälten, IT-Spezialisten oder vielleicht auch Bundestagsabgeordneten.

 

Das Wissen, das Ärzte in 12 Jahren Aus-und Weiterbildung erworben haben, spielt bei der Vorstellung des eigenen Werts eine wichtige Rolle, aber auch die hohe Verantwortung, die Arbeitsdichte und die psychische Belastung. Die Arbeit in einer Praxis bringt zum Teil große Befriedigung und Erfüllung mit sich, aber über weite Strecken ist eine sehr hohe Frustrationstoleranz erforderlich.

 

Auch dies muss finanziell berücksichtigt werden. Doch das wird es seit Langem nicht. Auf der anderen Seite steigen

die Anforderungen und Belastungen im Bereich der Bürokratie, oft verbunden mit einer speziellen Form von Missachtung, die vor allem in Krankenkassenkreisen endemisch ist.

 

Wenn die AOK wie kürzlich in einem Positionspapier fordert, dass bei Vorwürfen von Behandlungsfehlern den Patienten die Beweisführung noch weiter erleichtert wird, als es ohnehin geschieht, und als Argument anführt, dass immer noch nicht jeder Patient in einem Verfahren recht bekommt, dann kann sich jeder junge Arzt ausrechnen, was auf ihn als Praxisinhaber

zukommt. Viele werden daraus den Schluss ziehen, so einen Fall doch lieber als Angestellte zu erleben.

 

Was können Kassen und Politik also tun, um die Niederlassung attraktiver zu machen. Ganz einfach:

Behandelt Eure Ärzte besser!

 

 

Soyka, Matthias.  (2021, Nr. 10). Behandlet Eure Ärzte besser!, KVH Journal