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Wenn das mal gut geht!

Kommt die Bürgerversicherung nach der Bundestagswahl oder kommt sie nicht?

 

Mittlerweile kann sich auch so mancher Niedergelassene ein solches Modell vorstellen. Doch kann das wirklich funktionieren? änd-Kolumnist Dr. Matthias Soyka ist skeptisch.

 

Ein freundlicher Herr aus Lagos, Nigeria, schreibt mir eine brillant formulierte E-Mail in wunderschönem Advokatenenglisch, die aus irgendeinem Grund im Spam Ordner endete. Er kündigt mir an, dass ich aus Gründen, die ich nicht verstehe, eine sehr hohe Geldsumme zu erwarten hätte. Leider sei es aber so, dass ich, um dieses Geld zu erhalten, erst einmal in Vorkasse treten müsse und einen nicht geringen Betrag auf ein Konto einer Londoner Bank überweisen muss. Ein Super-

Angebot, oder? Komisch nur, dass die Mail im Spam-Ordner gelandet ist.

 

Erst einmal Geld verlieren und es an Leute überweisen, denen man nicht trauen kann, um später das große Geld zu machen, kann das funktionieren? Ist das wirklich eine gute Idee? 

 

Diese Frage stellt sich auch bei der Bürgerversicherung. Manche Kollegen meinen, dass die Honorare, die Privatpatienten in den Praxen der niedergelassenen Ärzte lassen, doch lieber in den Gesundheitsfonds der Krankenkassen eingezahlt werden könnten. Die niedergelassenen Kassenärzte würden dann zwar erst einmal weniger verdienen. 

 

Laut einer Analyse des PVS-Verbandes würde dies sogar für jeden Arztpraxis im Schnitt 55 Tsd Euro ausmachen.

 

Theorie und Praxis

 

Aber die Honorarverluste könnten, so glauben es einige, dadurch kompensiert werden, dass alle Kassenärzte

höhere Honorare für die Behandlung der gesetzlich Versicherten bekommen würden. Dann wäre alles viel gerechter, sozial und wunderbar. Es gäbe es keine Unterschiede zwischen Privat- und Gesetzlich versicherten mehr. Die Klassenlose Gesellschaft ist nicht mehr weit.

 

So schön und gut die Theorie. Dagegen spricht nicht nur, dass das letzte Mal als in Deutschland die klassenlose Gesellschaft in Angriff genommen wurde, es eine Mauer brauchte, um der Begeisterung darüber Herr zu werden.

 

So schlimm würde es vielleicht nicht gleich kommen. Aber wäre es wirklich zu erwarten, dass die Gelder, die den Praxen durch den Ausfall der Privatpatienten entgehen, gerecht über alle Ärzte und Standorte wieder zufließen würden?

Wer das Gesundheitswesen nur ein bisschen kennt, der weiß, dass dies nicht geschehen wird. Das Geld wird

auf dem Weg zu denjenigen, die die Arbeit im Gesundheitswesen machen, irgendwo versickern. 

 

Versichertengelder in der Sickergrube

 

Die Abrechnungsmodalitäten und die Wege der Geldströme von Versichertengeldern, Gesundheitsfonds und

Kassen sind so unübersichtlich und nur von Spezialisten zu verstehen, dass der Herr aus Lagos mit seinen

Briefkastenfirmen da nur vor Neid erblassen kann.

 

Natürlich wird die erste große Portion schon einmal im Verwaltungsapparat der Krankenkassen benötigt. Und selbstverständlich müssen auch die Probleme der Kliniken und der Konzerne, denen sie gehören, bedacht werden.

Da wird der größte Batzen landen.

 

Unsozial soll das Ganze ja auf keinen Fall sein, so dass – als kleines Almosen für die Versicherten - so manche

Extraleistung in den Leistungskatalog kommen wird. Heiße Kandidaten dafür könnten Dolmetscherdienste, Soziotherapie, Sozialprojekte, aber auch neue Laborleistungen sein.

 

Wie auch immer, das meiste Geld wird verschwinden, bevor schließlich eine grandiose Punktwerterhöhung von

– sagen wir mal - 0,5 Prozent zustande kommt. So wird Im Endergebnis durch Umverteilung in einer Bürgerversicherung kein Kassenarzt irgendetwas gewinnen, aber fast alle werden verlieren und viele werden in existentielle Schwierigkeiten geraten. Und selbst die, die nicht gleich pleite gehen, werden es kaum noch schaffen, ihre Motivation für ihre Arbeit aufrecht zu

erhalten.

 

Nur Kollegen mit einem stark ausgeprägten Gleichheitsfanatismus und ausreichend Neidinstinkt haben möglicherweise einen kurz dauernden ideellen Gewinn in Form der Schadenfreude über die Verluste von vermeintlich Besserverdienenden.

Und das funktioniert auch nur, wenn sie selbst keine Privatpatienten behandeln oder als angestellte Ärzte keinen wirtschaftlichen Druck verspüren.

 

Bürgerversicherung ist auch für angestellte Ärzte ein Schaden

 

Aber jeder angestellte Arzt, der nur ein wenig über den Tellerrand hinausdenkt, wird sich durch den Wegfall der privaten Krankenversicherung bedroht fühlen. Denn ihm bricht damit eine berufliche Alternative weg, die er bis jetzt immer noch wählen kann, wenn die Zumutungen in der Klinik und den MVZs zu groß werden. Eine Niederlassung in der eigenen Praxis wird ohne die PKV und ohne private Gebührenordnung kaum noch möglich sein.

 

Denn die Umsätze, die man mit einer Kassenpraxis erzielen kann, reichen in den meisten Praxen für nicht viel mehr als die Betriebskosten. Die Rentabilität einer eigenen Praxis wird daher durch den Wegfall der Privateinnahmen so stark sinken, dass Arztpraxen nicht mehr verkäuflich sein werden – wenigstens nicht an Einzelpersonen, die davon leben wollen.

Für Klinikkonzerne oder von Investoren sähe das anders aus. Für sie wäre der Umstieg vom bisherigen dualen

System zu einer Bürgerversicherung eine einzigartige Goldgräber-Gelegenheit, auf Einkaufstour und Schnäppchenjagd zu gehen. Sie wären die direkten Profiteure des durch die Bürgerversicherung eingeleiteten Praxensterbens.

 

Kommunistisch blinken, kapitalistisch abbiegen

 

Die Bürgerversicherung wirkt so als Turbo für den Umbau des Gesundheitswesens zu einem nur auf Rendite ausgerichteten Wirtschaftszweig. Kommunistisch blinken und dann radikal kapitalistisch abbiegen – es wäre nicht das erste Mal in der

Geschichte, dass dieses geschieht.

 

Die Politik der vergangenen Jahrzehnte gibt wenig Grund zu Illusionen über eine weise Gesundheitspolitik.

Die Erwartungen der meisten Ärzte sind inzwischen schon so niedrig, dass man froh sein kann, wenn bei der Bundestagswahl keine Konstellation zustande kommt, die mit irgendeiner Form von Bürgerversicherung dem freiberuflichen Rest des Gesundheitssystems den finalen Stoß versetzt.

 

25.09.2021 06:13, Autor: Dr. Matthias Soyka, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG

Quelle: https://www.aend.de/article/214357