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Was hilft gegen Ärztemangel? Ärzte besser behandeln!

Politiker sind gut darin, sich ankündigende Katastrophen zu verdrängen. Vom Klimawandel bis zur Pandemie, vom Vormarsch der Taliban bis zur Finanzkrise – man konnte es ja nicht ahnen, erst recht nicht sich darauf vorbereiten. Der kommende Ärztemangel ist auch so ein Desaster mit Ansage, das trotz aller Vorzeichen aktiv verleugnet wird.

 

Dabei werden jetzt schon immer häufiger Kassenarztsitze nicht besetzt, und immer öfter bleibt die Suche nach einem Nachfolger erfolglos. Viel zu häufig bleibt als Ausweg nur der Verkauf an ein Konzern-MVZ. Das sollten eigentlich Warnsignale genug sein. Aber die meisten Politiker winkten in den letzten Jahren müde ab. Das sei alles nur Panikmache der Ärzte. Diese Haltung wird sich schon bald rächen. Deshalb folgen jetzt ein paar sachdienliche Hinweise für alle Ärztemangel-Leugner.

 

Mehr als ein Drittel der niedergelassenen Ärzte sind älter als 60 Jahre, sie werden schon bald in den Ruhestand gehen. Sehr viele suchen bereits einen Nachfolger. Die Chancen, dass ihnen das gelingt, sind deutlich gesunken.

 

Mit 80 in den Ruhestand

Ein schönes Beispiel: In der Lokalzeitung der schleswig-holsteinischen Gemeinde, in der ich aufgewachsen bin, las ich im Juli über die Schließung der Praxis des Hausarztes, den ich schon als Student kannte. Der Kollege, ein charismatischer Hausarzt der alten Schule, ist bei seinem Ausstieg gerade einmal achtzig Jahre alt. „Aus Verpflichtung den Patienten gegenüber habe ich dann weitergemacht“, wird der Kollege zitiert.

 

Ein Nachfolger fand sich nicht, über eine Außenstelle eines MVZ wird nachgedacht. Die Gemeinde habe einen Headhunter angesetzt. Inzwischen höre ich von alten Bekannten, der Kollege habe sich ein weiteres Mal erweichen lassen und führe die Praxis noch einige Zeit fort. Denn die Situation ist prekär. Eine andere Praxis in der 6000 Seelen-Gemeinde ist schon länger verwaist.

 

Vor Jahren schon fragte ich einen befreundeten Praxisvermittler, ob er vielleicht einen Arzt in seiner Kartei hätte, der eine Praxis in diesem netten Ort übernehmen wolle. Die Antwort war: „Das kannst du vergessen.“ 

 

Schuld am Ärztemangel ist immer die KV 

 

Szenenwechsel: Im schönen Hamburg-Bergedorf hat sich nach Auskunft eines CDU Politikers die Zahl der Arztstellen gegenüber 2014 um 11 verringert, während der Stadtteil selbst stetig gewachsen ist. Schuld ist natürlich - wie so oft -die böse KV, die Arztsitze und Ärzte nicht einfach so aus dem Boden stampft. Der Politiker erwähnt jedenfalls nicht, dass allein der Asklepios Konzern 10 Arztsitze in diesem Bezirk aufkaufte und gegen den Willen der KV in einen anderen Stadtteil verlegte, wo sie ihrer Funktion als Portalpraxis besser nachkommen konnten. Darüber, dass sich für einige Praxen in Bergedorf kein Nachfolger finden ließ, wird kein Wort verloren.

 

Denn in Hamburg wie in der ganzen Republik blenden Politik und Öffentlichkeit den Ärztemangel der Zukunft aus. Das hat für die politischen Akteure den Vorteil, sich nicht lange mit der Frage quälen zu müssen, warum so wenige Ärzte eine Kassenpraxis kaufen wollen. 

An den Studienplätzen liegt es nicht

Die Ursache des zukünftigen Ärztemangels ist jedenfalls nicht das Fehlen von Medizinstudenten, denn die Studienplätze sind immer noch heißbegehrt. Aber viele Studierende werden gar nicht erst im Beruf arbeiten und sehr viele sind nicht bereit, eine Praxis zu übernehmen. Eine beliebte Erklärung dafür ist, dass die Lebensentwürfe anders geworden sind, die Medizin weiblich wird und die jungen Ärzte Angst vor der unbekannten Niederlassung hätten.

 

An allen diesen Nebenproblemen mag etwas dran sein. Aber es ist doch nicht wahr, dass die jeweilige Generation XY per se ziemlich lahm ist. Die sind durchaus zu flotten Leistungen fähig. Sie scheuen auch nicht das Risiko. Viele investieren sogar in Aktien. Auch der Satz von den anderen Lebensentwürfen und der Work- Life-Balance ist mehr Gerede aus dem Feuilleton als eine Beschreibung der Realität.

 

Es lohnt sich oft einfach nicht

 

Dass Frausein und Selbständigkeit sich ausschließen, ist ebenfalls ein Gerücht. Es gibt inzwischen jede Menge Frauen, die erfolgreiche Praxen betreiben. Es stimmt zwar, dass sich der Anteil derjenigen erhöht hat, die in der Zeit, in der die Kinder noch zur Schule gehen, lieber als Angestellte arbeiten. Aber warum finden sich nicht genug Ärzte, die diese Situation nutzen und einen Kollegen oder eine Kollegin anstellen wollen?

 

Die Antwort ist: Es lohnt sich oft einfach nicht.

 

Junge Ärzte meiden zunehmend die Niederlassung, weil das Risiko, die Anstrengung und die Sorgen, die mit einer Niederlassung verbunden sind, nicht mehr in einem akzeptablen Verhältnis zu den Verdiensten stehen. Jetzt wirkt sich negativ aus, dass es für die niedergelassenen Ärzte über Jahrzehnte keine echte Honorarsteigerung gegeben hat und dass noch nicht einmal der Effekt der Inflation ausgeglichen wurde. Auch wenn es in den zwei letzten Jahren Steigerungen der Praxiseinnahmen vor allem im Rahmen des TSVG gegeben hat, so sind diese hart erkauft durch einen massiven Eingriff in die innere Praxisorganisation, z.B. durch die offenen Sprechstunden.

 

Dass jetzt Krankenkassen fordern, die Honorarsteigerungen aus dem TSVG durch neue „Bereinigungen“ rückgängig zu machen, fördert dabei nicht das Vertrauen in die zukünftige Einnahmesituation.

 

Was junge Ärzte abschreckt

Jeder junge Arzt weiß, dass viele Praxen nur mit den zusätzlichen Einnahmen aus der PKV zu führen sind. Die Einnahmen aus dem Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung sind anscheinend nicht so „berechnet“, dass sie alleine ein angemessenes Einkommen ermöglichen. Daher sehen Jungärzte natürlich auch auf den Standort einer Praxis. Und daher dürften auch drohende Experimente mit einer Bürgerversicherung das Zutrauen der jungen Kollegen in ihre zukünftige wirtschaftliche Situation weiter erodieren.

 

Auch dass die Preise der privatärztliche Gebührenordnung seit mehr als einem Vierteljahrhundert nicht an die Inflation angepasst wurden, wissen alle jungen Ärzte, die nicht ganz schusselig durchs Leben gehen. So ergibt sich in den Praxen ein Einkommen, das zwar im Vergleich mit anderen Berufen wie Maurer oder Lehrer noch oftmals besser abschneiden kann. (Und glücklicherweise gibt es auch noch eine ganze Reihe von Spitzenverdienern unter den niedergelassenen Ärzten.) Aber in viel zu vielen Fällen ist das Einkommen von Praxisärzten niedriger als ein Arztgehalt in einer Klinik oder einem Klinik-MVZ. Und das funktioniert auf Dauer nicht.

 

Man kann über die Höhe des gerechten Arzteinkommens geteilter Meinung sein. Aber „am Markt“ setzt sich auf Dauer eine andere, realistische Preisvorstellung durch. Diese orientiert sich an gut beschäftigten Rechtsanwälten, IT-Spezialisten oder vielleicht auch Bundestagsabgeordneten. Das Wissen, das Ärzte in 12 Jahren Aus-und Weiterbildung erworben haben, spielt bei der Vorstellung des eigenen Werts eine wichtige Rolle, aber auch die hohe Verantwortung, die Arbeitsdichte und die psychische Belastung. Die Arbeit in einer Praxis bringt zum Teil große Befriedigung und Erfüllung mit sich, aber über weite Strecken ist auch eine sehr hohe Frustrationstoleranz erforderlich. Auch diese muss finanziell berücksichtigt werden.

 

Zuviel Belastung gegen zu geringe Bezahlung – das bremst das Investitionsklima

 

Doch das wird es seit langem nicht. Auf der anderen Seite steigen die Anforderungen und Belastungen im Bereich der Bürokratie, oft verbunden mit einer speziellen Form von Missachtung, die vor allem in Krankenkassenkreisen endemisch ist.

Wenn die AOK wie kürzlich in einem Positionspapier fordert, dass bei Vorwürfen von Behandlungsfehlern den Patienten die Beweisführung noch weiter erleichtert wird als es ohnehin geschieht und als Argument anführt, dass immer noch nicht jeder Patient in einem Verfahren recht bekommt, dann kann sich jeder junge Arzt ausrechnen, was auf ihn als Praxisinhaber zukommt. Viele werden daraus den Schluss ziehen, so einen Fall doch lieber als Angestellte zu erleben.

 

Die überbordende Bürokratie und die Sorge vor Arzneimittelregressen sind weitere Bremsen für das „Investitionsklima“ für Arztpraxen. In jedem anderen Wirtschaftszweig würde sich die Politik Gedanken machen, wie dieses Investitionsklima zu verbessern wäre. Im ambulanten Gesundheitsbereich vermisst man diese Bemühungen. Dabei haben Kassen und Politik es in der Hand, die Niederlassung attraktiver zu machen.

 

Es gibt dafür eine ganz einfache Methode: Ärzte besser bezahlen und behandeln!

 

 

07.11.2021 07:11, Autor: Dr. Matthias Soyka, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG

Quelle: https://www.aend.de/article/214952