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Legalize it?

 

Bevor ich mit dem eigentlichen Thema beginne, möchte ich kurz meine Interessenkonflikte darlegen:

Interessenkonflikte:

- In meinem 16. Lebensjahr war ich der R.delsführer einer kleinen Truppe, die sich als ziemlich links verstand. Ich war der Jüngste. Zu viert fuhren wir fast jeden Samstagabend in den „Cheyenne Club“. Auf dem Weg zurück in unser Dorf wurde in einer kleinen Kiesgrube haltgemacht. Die anderen drei zogen sich ihre Joints rein, die roter Libanese oder schwarzer Afghane

hießen. Ich war zwar kein kategorischer Gegner, aber ich rauchte nicht mit. Schließlich wollte ich ja am nächsten Tag noch Hegel lesen. Ich konnte das alberne Gekicher auch nicht ertragen, das ziemlich schnell nach dem ersten Joint auftrat. An die beiden Abende, an denen ich eine Ausnahme machte und doch mitrauchte, kann ich mich noch gut erinnern. Das Zeug

wirkte bei mir nicht, wenigstens was das Kichern anging. Aber ich bekam einen enormen Hunger auf die Hefebrötchen, die frisch gebacken in der Küche standen.

- Zwei der drei haschischrauchenden Insassen des roten R4 in der Kiesgrube leben nicht mehr, sie starben, bevor sie 40 Jahre alt wurden. Zu der dritten habe ich keinen Kontakt. Für die beiden anderen war der Joint in der Kiesgrube der Beginn einer veritablen Drogenkarriere, die bei Heroin endete und auch den Sohn des Paares mit erfasste. Nach dem Tod seiner Frau schlitzte sich der Mann in der Badewanne – kurz vor dem Abitur seiner Tochter – im Drogenwahn mit einem Finndolch den Bauch auf. Schon allein wegen dieser Geschichte kann ich Drogen nicht sachlich als Geschäft und mögliche Steuereinnahmequelle sehen.

 

- Ein Freund, den ich noch von den Pfadfindern kannte, war dem Haschisch Konsum ebenfalls zugetan. Er war auch ein früher Computerspezialist, der sich seine nächtliche Arbeit mit Marihuana versüßte. Irgendwann, er war noch keine 30, fiel er mit dem Kopf auf die Tastatur. Er war aber schon vorher tot – Herzrhythmusstörungen.

- Daran dachte ich, als ich im Flugzeug nach Paris als Arzt Erste Hilfe leistete. Ein junger Mann war kollabiert, sein Puls war arrhythmisch. Als er wieder zu sich kam, fragte ich ihn, ob er Drogen genommen habe. „Nein“, war die Antwort. Nach wenigen Sekunden Bedenkzeit: „Außer den zwei Joints gestern Abend.“ 

- Mein Schulfreund Jürgen war, als ich ihn mit 14 kennenlernte, ein Streber und Anpasser. Aber er hatte das unstillbare Bedürfnis, ein Rebell zu sein. Mit 16 Jahren fuhr er per Interrail nach Istanbul und kaufte dort ein „Hec“, 100 Gramm reines Haschisch, von dem er einen Teil schon auf der Rückfahrt im Zugabteil rauchte, ohne dass es jemanden störte. Seitdem war er rauschgiftsüchtig. Er blieb anfangs noch ein interessanter und witziger junger Mann, auch seine Strebsamkeit hielt noch zwei Jahre an. Er schrieb literarisch interessante Texte über Rauschgifthandel, der ihn immer mehr faszinierte. In den folgenden Jahren veränderte er sich zunehmend. Er schlug seine Freundin und wanderte nach dem Abitur nach Schweden aus, um sich dort einer mit Rauschgift dealenden Rockergruppe anzuschließen. Von Mitschülern erfuhr ich, dass er keine 40 Jahre alt wurde.

 

- Der Sohn einer Kollegin war ein hoffnungsvoller Schlauberger, sportlich und charmant. Dass er Cannabis konsumierte, war mir nicht entgangen. Seit der Kiesgrube nehme ich den Geruch auf 100 Metern Entfernung wahr. Sein Abitur schaffte er trotzdem noch – mit 23 Jahren.

 

- Ein anderer junger Freund mit der gleichen Vorliebe ist mit 26 Jahren immer noch nicht mit seiner Handwerkerlehre fertig. Aber ich bin sehr hoffnungsvoll. Dass er lange Zeit mit ziemlich kruden Argumenten eine Impfung verweigerte, tut hier möglicherweise auch etwas zur Sache.

 

- Im Laufe der Jahre behandelte und begleitete ich viele junge Patienten, deren Lebenslauf sich durch den Cannabiskonsum zum Schlechteren kehrte. Einige kratzten die Kurve noch und waren nur ein paar Jahre später dran als normal, aber bei vielen war schon vor dem 30. Lebensjahr klar, dass das Leben privat und finanziell prekär werden würde.

 

- Ein von mir sehr geschätzter Patient war Handwerker, hielt das nicht durch, wurde Sozialarbeiter, wurde wieder Handwerker, hatte immer finanzielle Sorgen, vergeigte große Teile seines Lebens, aber der Joint schmeckte immer gut. Zum Glück wurde er irgendwann – mit 67 Jahren – als Autofahrer von der Polizei geschnappt und zum Drogentest gebeten, der positiv war (Er schwört, dass er die Drogen zwei Tage vor der Fahrt eingenommen hatte). Dieses Ereignis wirkte wie ein Warnschuss, der vielleicht etwas sehr spät kam. Der Patient quälte sich durch einen Entzug. Wenn ich ihn richtig interpretiere, ist auch er jetzt der Meinung, dass sein Cannabiskonsum den größten Anteil an seiner privaten und wirtschaftlichen Misere hat

 

Ich muss an dieser Stelle unterbrechen. Es gibt zwar noch so viel mehr große und kleine Tragödien, die ich in Zusammenhang mit Cannabis selbst erlebt oder gesehen habe, aber ich muss auch endlich mal zu der eigentlichen Kolumne kommen:

 

Ist die Cannabisfreigabe eine gute Idee? 

1. Dass durch die Freigabe von Cannabis der Reiz für junge Leute abnimmt, Marihuana oder Shit zu rauchen, ist offensichtlicher Mumpitz.

 

2. Dass Cannabis eine ungefährliche Droge ist, nicht minder. Die Organtoxität mag nicht so hoch sein wie beim Alkohol, aber die Folgen für das Gehirn (besonders der Jugendlichen) sind katastrophal. Das hat Folgen nicht nur für die Konsumenten, sondern für die gesamte Gesellschaft. Denn das Ärgerliche am Cannabis ist ja nicht nur die läppisch-heitere Geisteshaltung und das dumpfe Vor-sich-hin-Stieren, die es bei seinen Konsumenten bewirkt. Die Cannabisjünger sind auch große Freunde von unkritisch aufgenommenen Legenden und Phantasieerzählungen.

 

Der verbreitete Hang zu wahnhaften Weltvorstellungen und Verschwörungstheorien entsteht nicht nur durch die sozialen Medien, sondern auch durch die Gewöhnung an halluzinogene und andere Drogen.

1. Für die Legalisierung gibt es nur ein einziges gutes Argument: Die Drogen-Prohibition ist die Geschäftsgrundlage des organisierten Verbrechens. Ein Wegfall dieser Prohibition würde die weltweit operierende Drogenmafia in erhebliche Schwierigkeiten bringen. Der ehemalige Bundesrichter und Rechtswissenschaftler Thomas Fischer hat dieses Argument im „Spiegel“ eindrucksvoll ausgeführt.

 

2. Dagegen sprechen allerdings die Erfahrungen aus den Niederlanden, die 1976 den Haschischkonsum faktisch legalisierten, was zu einer allgemeinen Drogenverharmlosung führte und das Land zum Weltmarktführer des Drogenhandels machte. Holland ist inzwischen auf dem Weg zu einem Narco-Staat. Auch dies wurde kürzlich im „Spiegel“, nicht weniger eindrucksvoll und sehr detailliert, beschrieben. „Wie die Niederlande mit naiver Drogenpolitik die Mafia groß machten“.

 

3. Man kann ja zu allem seine Meinung haben. Aber in der kriminologischen Frage, ob eine Legalisierung von Cannabis das organisierte Verbrechen schwächen oder stärken würde, muss ich einfach passen. Es gibt für beides gute Argumente.

 

4. Dagegen ist eines sonnenklar: Die Hoffnung, durch die Freigabe von Cannabis die Geschäftsgrundlage des organisierten Verbrechens zu beseitigen, ist wirklich der einzige Gesichtspunkt, der für dieses Unterfangen spricht. Die Harmlosigkeit der Droge jedenfalls nicht. Auch wenn Cannabis im Medizinbereich eine der größten kommerziellen Erfolgsstories zu werden droht, gibt es für Ärzte keinen Grund, sich an der modernen Verharmlosung von Shit und Marihuana zu beteiligen.

 

28.11.2021 08:08, Autor: Dr. Matthias Soyka, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG

Quelle: https://www.aend.de/article/215452