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Staatsanwalt gegen KV Chef

So schnell kann es gehen. Am Freitag wurde er noch für seine Verdienste um die KV Hamburg gefeiert, am darauffolgenden Mittwoch findet sich Walter Plassmann in einem hämischen Bericht der "Hamburger Morgenpost". Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat Klage gegen den beliebten Ex-Chef der KV Hamburg erhoben.

 

Die Beliebtheit ist, glaube ich, nicht aufgesetzt. Sie soll, wie man hört, bei seiner Verabschiedung ein paar Tage zuvor noch einmal quer durch alle Lager zum Ausdruck gebracht worden sein. Ich selbst schreibe zwar Kolumnen für das Hamburger KV Journal und freue mich, dass mir darin niemand hineinredet und auch Unbequemes dort erscheinen darf. Aber ich

kenne Plassmann nur vom Blickwinkel eines Arztes von der Basis, habe nur wenige Male mit ihm gesprochen. Trotzdem teile ich als (ehemaliges) Mitglied der KV die positive Einstellung vieler Berufspolitiker zu seinem Wirken bei uns in Hamburg.

 

Als ich 1998 meine Praxis eröffnete, kam mir die KV schnell wie ein bedrohliches Monstrum vor, und dafür gab es auch ausreichend Gründe, wie die extrem unfairen Bedingungen für Praxisgründer. Irgendwann in den 2000er Jahren änderte sich das. Die KV versprach plötzlich, „Serviceorientiert“ zu werden. Ich mochte das zunächst kaum glauben, aber es

änderte sich einiges und zwar zum Guten. Die KV wurde durch die neue Linie, für die Plassmann und sein Vorgänger Bollmann verantwortlich waren, eine deutlich sympathischere Organisation.

 

Das heißt natürlich nicht, dass hier plötzlich eine Gewerkschaft der Niedergelassenen entstand. Die KV blieb weiterhin eine öffentlich-rechtliche Aufsichtsbehörde in Selbstverwaltung. Es lief auch keineswegs alles glatt und schön. Und natürlich gab es innerhalb der berufspolitischen Gruppen weiterhin gehörige Meinungsverschiedenheiten. Ich selbst konnte den Optimismus von Plassmann nicht teilen, dass das TSVG die große Chance zum Ende der Budgetierung darstellen würde.

 

Aber der Eindruck blieb, dass bei allen Fehlern und bei allen Differenzen der Berufspolitik, die ich nur als Zuschauer erlebte, die Serviceorientiertheit ein Ziel war, um dass sich die Hamburger KV ernsthaft bemühte. Jetzt – so scheint es – wird diese Serviceorientiertheit dem ehemaligen KV Chef zum Vorwurf gemacht. Denn das, was die Staatsanwaltschaft anklagt, ist kein klassisches Upcoding. Es geht also nicht darum, dass Kassenangestellte durch die Praxen ziehen und versuchen, Ärzte mit Geld, Drohungen und guten Worten zu bewegen, für die Kassen lukrativere ICD zu kodieren. Das ist ein ganz anderes Ding.

 

Zu den Vorwürfen gegen Plassmann schreibt das Hamburger Abendblatt: „Nach neuen Recherchen des Abendblattes haben Experten noch während der über Jahre andauernden Ermittlungen des Landeskriminalamtes und der Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass es bei den Änderungen der Patientendaten um zuvor vergessene Diagnosen gegangen sei.“

 

So wie ich es verstanden habe, geht es einzig darum, dass Plassmann und die KV Ärzte erinnerten, wenn diese bestimmte Diagnosen in der Abrechnung vergessen hatten, für die aber trotzdem Medikamente und Therapien veranlasst wurden.

Ein Arzt, der Insulin verordnet hatte, aber die Diagnose Diabetes vergessen hatte, wäre durch das Fehlen der Diagnose von einem Regress bedroht. Sachlich wäre dieser Regress nicht gerechtfertigt, sondern nur rein formal begründet.

Die Erinnerung der KV, die entsprechenden Diagnosen nachzutragen, verfälscht daher die Darstellung der Krankheiten nicht, anders als beim Upcoding.

 

Das Problem der vergessenen Diagnosen entsteht sowieso nur durch eine kleine und gleichzeitig sehr kleinliche bürokratische Änderung der Abrechnungsdokumentation. Irgendwann wurde es den Ärzten verboten, Dauerdiagnosen in ihrer Kartei zu verwenden. Jeder Diagnose sollte „frisch gepresst“ in jedem Quartal aufs Neue eingetragen werden. Diese Änderung konterkariert die angeblichen Bemühungen um die Reduktion von Bürokratie, sondern schafft im Gegenteil erhebliche Mehrarbeit. Darüber hinaus ist das Verbot, Dauerdiagnosen wie Diabetes oder Bluthochdruck zu verwenden, eine stetig sprudelnde Quelle von Fehlern. Viele Diagnosen fallen dadurch durchs Raster. Das wiederum stresst Ärzte wegen der dadurch drohenden Regressgefahr.

 

Wenn die KV die davon betroffenen Ärzte nicht ins offene Messer laufen lässt, sondern sie stattdessen auf ihr Versäumnis hinweist, ist das ein lobenswerter Fall von Serviceorientiertheit. Ärzte sollten sich daher lieber nicht an den hämischen Attacken gegen den altgedienten KV Chef beteiligen. Denn die öffentlich erhobenen Vorwürfe richten sich zwar gegen ihn persönlich, aber getroffen werden sollen die Ärzte als Gruppe. 

 

Es darf einfach nicht sein, dass die Kassen alleine am Pranger stehen, es muss unbedingt auch etwas gegen die Ärzte ins Feld geführt werden. Die Hamburger Morgenpost macht aus einer Beschuldigung, die noch nicht einmal dazu geführt hat, dass die Klage zugelassen wurde (und von der eigentlich jetzt schon jeder ahnt, dass sie in sich zusammenbrechen wird) eine süffisante Story, die sich explizit gegen „die mächtige Kassenärztliche Vereinigung“ richtet.

 

Die Fragen, die sich einem verständigen Beobachter stellen, sollen dabei lieber unterbleiben: Wozu müssen Ärzte so viel Zeit und Energie mit dem Finden von Codes für Krankheiten verschwenden?

 

Wozu braucht man diese Konkurrenz der Kassen um einen gemeinsamen Risikostrukturausgleich?

 

Warum muss es überhaupt mehr als eine Krankenkasse geben?

 

Und wer braucht überhaupt die AOK?

 

14.04.2022 06:45, Autor: Dr. Matthias Soyka, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG

Quelle: https://www.aend.de/article/217688