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Ärzte müssen schreiben, wenn sie gehört werden wollen

Ob es um die Streichung der TSVG-Gelder oder um den Konnektorentausch geht, auf die Meinung der Ärzte kommt es in der Gesundheitspolitik nicht an. Wir Ärzte werden nicht gehört. Das liegt – nicht in erster Linie, aber auch - an uns. Denn nicht selten ist die ärztliche Kommunikation- vorsichtig formuliert – verbesserungswürdig.

 

Es gibt zwar nicht „den ärztlichen Standpunkt“ in der Gesundheitspolitik. Dafür sind wir alle viel zu verschieden. Aber trotzdem wäre es besser, wenn die verschiedenen ärztlichen Standpunkte in den Debatten über das Gesundheitswesen vorherrschend und nicht marginal wären. Es würde der gesundheitspolitischen Debatte guttun, wenn mehr Leute verstehbar zu Wort kommen würden, die aus ihrem Berufsleben wissen, wo die Probleme wirklich liegen.

 

Doch nicht jeder hat die Fähigkeit und vor allem die Lust, sich in die öffentliche Debatte einzubringen. Und auch wenn dies der Fall ist, muss auch ein gut formulierter Gedanke erst einmal die Schwelle des öffentlichen Interesses überschreiten.

 

Einer, der das ziemlich gut beherrscht, ist der Kollege Bernd Hontschik mit seiner regelmäßigen Kolumne in der Frankfurter Rundschau Frankfurt. Oft bin ich anderer Meinung als er, aber mindestens ebenso oft bin ich beeindruckt von den prägnanten Schilderungen gesundheitspolitischer Missstände, die sich in seinen Texten finden.Jetzt hat er ein neues Buch

geschrieben, das ich für sehr empfehlenswert halte, obwohl ich gegen die Thesen am Anfang und am Ende des Buches den einen oder anderen Einwand hätte.

 

So beginnt das Buch mit Passagen aus dem Kommunistischen Manifest (das fand ich schon in meiner linken Jugendzeit nur literarisch interessant) und endet mit der dystopischen Warnung vor einer Gesundheitsherrschaft. Dem muss man nicht unbedingt folgen, auch wenn ich zugeben muss, dass die Vorstellung eines als Einheit handelnden Kapitals, das jetzt mit Macht auf die Eroberung des Gesundheitswesens zielt, nicht wenige Belegstellen finden kann.

 

Doch sind es nicht eher viele einzelne Geschäftemacher, die den Stadt- und Kreisverwaltungen das unwiderstehliche Angebot machten und machen, sie von der Last ihrer durch Bürokratie völlig heruntergewirtschafteten Krankenhäuser zu befreien und an deren Stelle schicke neue Profitcenter zu setzen? Hontschik beschreibt selbst diese Verkäufe aus Verzweiflung. Und ist es wirklich „das Kapital“ oder „die Bourgeoisie“, die Interesse an einem industrialisiertem Gesundheitswesen hat?

 

Wenn ich mir vorstelle, Besitzer einer großen Firma zu sein, wäre mir angesichts der Entwicklung des Gesundheitswesens jedenfalls sehr unwohl. Denn ich hätte große Sorgen, dass meine Beschäftigten im Krankheitsfall die notwendige medizinische Behandlung erhalten würden. Selbst aus rein „kapitalistischen“ Gründen würde einem daher der Wahnsinn in der Umgestaltung des Gesundheitswesens schon nicht gefallen. Vielleicht ist ja doch nicht Alles ein großer Plan des Kapitals. Zumindest sollte man die Wirkung von Dummheit und Besessenheit bei den Verantwortlichen nicht unterschätzen.

 

Doch diese Einwände gegen zentrale Thesen ändern nichts daran, dass dem Kollegen Hontschick mit diesem Buch ein großer Wurf gelungen ist, aus dem normale Bürger, also unsere Patienten viel über das Gesundheitswesen lernen können.

Um nur ein paar Beispiele zu nennen:

 

Wer kennt schon Geschichten wie die von der Renaissance des Contergan? Dieses Medikament ist natürlich auch in Zukunft für Schwangere nicht geeignet. Aber seine neu entdeckte Wirkung gegen Lepra und Plasmozytom eröffnen neue Einsatzmöglichkeiten, was ja zunächst eine gute Nachricht ist. Nur, dass die nur unwesentlich veränderte Substanz jetzt nicht mehr ein paar Euros kostet wie noch das alte Thalidomid, sondern jetzt Monatstherapiekosten von bis zu 10.000 Euro verursacht.

 

Hontschik braucht nur eine Seite, um diesen Skandal verständlich darzustellen, ebenso wie den um das kongeniale Vorgehen von Novartis bei Lucentis und Avastin. Die meisten Ärzte kennen den Krimi dahinter, während die meisten Bürger noch nie davon gehört haben. Pay for perfomance, das finden viele gut, weil es sich irgendwie nach Leistung anhört. Die Risiken und

Nebenwirkungen dieser Methode, Ärzte und Krankenhäuser zu bezahlen, ahnt hingegen kaum jemand.

 

Hontschik klärt darüber ebenso auf wie über die Risiken des Wettbewerbs im Gesundheitswesen. Auch die Übernahme von Arztpraxen durch Kliniken und Private Equity Firmen wird verständlich erläutert. Aber außer bei der Umwandlung von Arztpraxen in MVZ wird sonst in dem Buch eher wenig auf die Probleme der Arztpraxen eingegangen. Die miserable Bezahlung der niedergelassenen Ärzte und der fehlende Inflationsausgleich bei den Honoraren kommen so gut wie nicht vor. Da bestünde Verbesserungspotential bei einer Neuauflage.

 

Mehr als lobenswert ist dagegen die Schilderung ärztlicher Probleme mit dem Zwangsanschluss an die TI, mit der E-Card und den Schrott-Konnektoren. Unsere Patienten wissen darüber kaum etwas und viele wollen es auch nicht wissen. Die knappe eingängige Darstellung von Hontschik könnte da Abhilfe schaffen. Ich finde es wichtig, dass unsere Patienten, ebenso wie die gesamte Öffentlichkeit, von diesen konkreten Problemen im Gesundheitswesen erfahren.

 

Deshalb werde ich meinen Patienten dieses Buch empfehlen. Über die politische Richtung wird jeder selbst seine Meinung haben, da sollte man niemanden bevormunden. Aber die vielen unbekannten Fakten aus dem Gesundheitswesen müssen bekannt gemacht werden. Dazu ist dieses Buch, das in einer beneidenswert kraftvollen Sprache geschrieben und dessen Umfang mit 110 Seiten sehr klug gewählt ist, hervorragend geeignet.


31.07.2022 13:05, Autor: Dr. Matthias Soyka, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG

Quelle: https://www.aend.de/article/219211