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Beamtenmentalität – Aufstand gegen Lauterbach

 

Es gibt Malaisen, die wünscht man seinem ärgsten Feind nicht. Zu diesen Dingen gehören jammerig-aggressive Schreiben von Gleichstellungsbeauftragten. Genau so ein „Strafmandat“ hat unser Gesundheitsminister Lauterbach jetzt nach einer Betriebsversammlung seines Ministeriums kassiert. 

 

Und da sich diese Kolumne nur am Rande mit dem ehemaligen „Gesundheitsminister der Herzen“ beschäftigen wird, sondern stattdessen mit der Mentalität deutscher Beamter, kann man für einen Augenblick fast ein wenig Mitleid mit ihm haben. 

 

Stress im Ministerium

 

Birgit Mohns, die Gleichstellungsbeauftrage des Bundesgesundheitsministeriums, beklagte die hohe Arbeitsbelastung in

ihrer Behörde. Vor allem die Beschäftigten, die Familie, Pflege und Beruf vereinbaren müssten, seien enorm gestresst. In einer Betriebsversammlung – der SPIEGEL berichtete ausführlich – wurde kritisiert, dass die Arbeitsbelastung stark zugenommen habe. Mehrere Abteilungen hatten lt. SPIEGEL sogar schon Überlastungsanzeigen geschrieben. Der Konter von Lauterbach hörte sich allerdings nicht ganz unplausibel an. Denn er entgegnete, dass mit der Verbesserung der

Qualität der Arbeit, letztlich auch die Arbeitsbelastung sinke.

 

Praxisbesitzer kennen das Phänomen nur zu gut. Schon ein oder zwei Minderleister sind in der Lage, die Arbeitsbelastung für das ganze Team hochzuschrauben. Allerdings haben Praxisbesitzer – um auch einmal etwas Positives zu schreiben – in der Regel keine Gleichstellungsbeauftragte.

 

Lauterbachs hauseigene Beauftragte schrieb ihm jedenfalls nach der Betriebsversammlung: „Die bekannte Anzahl der Überstunden, Stunden auf Langzeitkonten usw. stehen deutlich für Arbeitsbelastung und nicht für schlechte Arbeitsqualität“.

 

Man weiß nicht, wer in diesem Fall Recht hat. Die Sprunghaftigkeit und die Realitätsferne von Karl Lauterbach sind sicherlich auch ein Problem für die Menschen, die unter ihm arbeiten müssen. Aber nicht nur, weil dieser Text, wie versprochen, keine Lauterbach-Kolumne wird, habe ich in dieser Auseinandersetzung doch eher Verständnis für den Minister. Denn er stösst mit seiner erratischen Energie auf die behäbige Beharrlichkeit der Bürokratie - eine Situation, die uns Ärzten nicht ganz unbekannt ist. 

 

Berufsbeamtentum und persönlicher Einsatz

 

Eigentlich sollte das Berufsbeamtentum mit seinen verschiedenen Privilegien für die Staatsdiener dazu dienen, dem Staat besonders loyale und leistungsbereite Beschäftigte zu garantieren. Doch ein eiserner Kündigungsschutz und die Eigendynamik der Bürokratie verhindern das in vielen Fällen. Zwar gibt es durchaus jede Menge hoch engagierter Beamter. Diese finden sich (glücklicherweise) vor allem in den Bereichen, in denen für Bürger und Staat etwas „produziert“ wird – Sicherheit und Bildung z.B. Doch in vielen Amtsstuben, die der normale Bürger kaum kennt und nie zu Gesicht bekommt, besteht genügend Gelegenheit für die dort Tätigen, sich vorwiegend mit den Problemen zu beschäftigen, die sie selbst produziert haben – und natürlich mit den vielfältigen Sorgen um die eigenen Arbeitsbedingungen und Vergütungsprobleme. Das Beschaffungswesen fürs Militär soll in dieser Liga ganz vorne mitspielen.

 

Deutsche Behörden blamieren sich in der Pandemie

 

Aber auch auf kommunaler Ebene ist das Problem, das den Heißsporn Lauterbach so quält, nicht unbekannt.

Die verborgenen Probleme wurden während der Pandemie besonders deutlich. Ganze Verwaltungen wurden ins Homeoffice geschickt. Wer auf einen Baubescheid wartete oder einen Erbschein benötigte, konnte ziemlich lange warten. (Andere Abwesenheiten fielen hingegen überhaupt niemandem auf.) Was deutsche Behörden zur Pandemiebekämpfung beitrugen, war jedenfalls oftmals kein Ruhmesblatt, und das beschränkt sich keineswegs auf die Beamten.

 

So konnte man zu Beginn der Pandemie an vielen Orten wochenlang keinen Sperrmüll bei der Abfallentsorgung

abgeben. Zu groß erschien den Beschäftigten in ihrem Bürocontainer das Risiko zu sein, dass Coronaviren durch die Trennscheibe ins Innere diffundieren könnten. Anders als Medizinische Fachangestellte oder Kasslerinnen blieben die öffentlichen Angestellten in dieser Zeit zuhause. Einen Coronabonus haben sie - anders als Kassiererinnen und MFA - später natürlich trotzdem bekommen. 

 

Es ist nicht das Fax – es ist das Gesäß!

 

Besonders fatal: Während der gesamten Pandemie schien es unmöglich, am Wochenende zeitnah die Zahlen zu Neuansteckungen aus den Städten und Kreisen an das Robert-Koch-Institut weiterzuleiten. Ein Grund dafür wurde schnell benannt: die mangelnde Digitalisierung. Alle Daten müssten noch mit Faxgeräten von Klein- Kleckersdorf nach Berlin ins RKI gemeldet werden. Von digitaler Steinzeit war die Rede, so als sei das Arbeitsgerät von Fred Feuerstein nicht die Keule, sondern das Fax gewesen. 

 

Ich habe mich immer gewundert, auf welche Akzeptanz und Gutgläubigkeit dieses Märchen stieß. Denn so richtig langsam ist ein Fax auch nicht unterwegs. Das Problem war nicht die langsame Datenleitung, sondern die Tatsache, dass es offensichtlich nicht gelang, flächendeckend einen Wochenend- und Bereitschaftsdienst in den Gesundheitsämtern einzurichten, die die Meldungen aus den Krankenhäusern und Laboren gebündelt ans RKI weitergeleitet hätten. Um so eine Meldekette einzurichten, bräuchte man noch nicht einmal ein Fax. Ein Telefon wäre schon völlig ausreichend. Vermutlich hätte es sogar wie im vorletzten Jahrhundert mit reitenden Boten und Eisenbahn funktioniert, wenn es den staatlichen Willen und die zu seiner Umsetzung bereiten Beamten und Angestellten gegeben hätte. Diese hätten auch aus anderen Behörden als den Gesundheitsämtern rekrutiert werden können, denn so richtig kompliziert ist das Weitergeben von Daten auch

nicht. 

 

Aber anscheinend fehlte es vor allem an der „Manpower“, also an Menschen, die bereit gewesen wären, am Abend in irgendeiner Amtsstube zu erscheinen und die aus den Krankenhäusern und Laboren der Region eintreffenden Nachrichten zu bündeln und nach Berlin weiterzuleiten. Das wären pro Landkreis nur wenige Arbeitsstunden am Tag gewesen. Aber für diese relativ überschaubare Aufgabe fand sich in den Kreisen und Städten anscheinend nicht genügend Personal.

 

Das mutet seltsam an, denn Unmengen von Beamten und staatlichen Angestellten aus allen möglichen Dienststellen der Republik saßen in der Pandemie beschäftigungslos zuhause im „Home office“ herum und wären prima für solche Bereitschaftsdienste geeignet gewesen.

 

Nicht die Datenleitungen waren das Problem, sondern die Bequemlichkeit der staatlichen Beschäftigten. 

Wenn es in Kleinkleckersdorf nicht funktioniert, warum sollte es dann ausgerechnet in Berlin, der Hauptstadt der Dysfunktionalität, besser klappen? Deshalb wundert es mich keineswegs, dass die Beamten im

Gesundheitsministerium schon nach einem Jahr Karl Lauterbach über die Presse eine Überlastungsanzeige

lancieren.

 

Bundesgesundheitsministerium – Jammern auf hohem Niveau

 

Allerdings offenbart das Gejammer aus dem Bundesgesundheitsministerium eine ganz spezielle Mentalität.

Jahrzehntelang wurden in diesem Ministerium Richtlinien und Gesetze produziert, die den Menschen, die im Gesundheitswesen die Arbeit verrichten, immer neue Pflichten und Aufgaben aufdrückten. Besonders die

niedergelassenen Ärzte können davon ein Lied singen.

 

Dass Ärzte viele Stunden zusätzlich zu ihrer Arbeitszeit mit immer mehr bürokratischen Ballast verschwenden

müssen und für die Anstrengungen keinen einzigen Cent mehr bekommen, ist in dem Ministerium als völlig

normal unterstellt.

 

Jede Diagnose mit einer passenden ICD Kodierung versehen – natürlich machen das die Ärzte für lau. Eher denkt man in der Fachebene des Ministeriums darüber nach, den Ärzten auch noch Fortbildungen für diese absurde Pflicht aufzuzwingen, als sie dafür zu bezahlen. Dank Heilmittelrichtlinien für ein Physiotherapierezept die 50 fache Zeit aufwenden als früher – natürlich umsonst.

 

Mit fehleranfälligen Konnektoren den Stammdatenabgleich in der Praxis erledigen, also den Krankenkassengeschäftsstellen Arbeit ersparen. Das können die Praxen doch einfach mitmachen. Das E-Rezept ausfüllen und die E-AU, auch wenn die Arbeitszeit der MFA dadurch noch mehr mit Bürokratie gefüllt wird.

 

Das ist ja nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was den Praxen in den letzten Jahrzehnten an Zusatzarbeiten aufgebürdet wurde, ohne dass dafür irgendetwas bezahlt wurde. Zusatzbelastung in der Pandemie – natürlich vor allem im Ministerium

Seinen Höhepunkt erreichte die Zusatzbelastung der Praxen in der Pandemie: Impfungen, Infektsprechstunden,

zusätzliche Hygienemaßnahmen und der persönliche Mut der Praxisteams am Anfang der Pandemie mit

improvisierten Schutzausrüstungen, also oft völlig ungeschützt, ihre Arbeit zu verrichten.

 

Verbalen Dank gab es dafür schon, wenn auch spärlich. Auf einen Bonus wie im öffentlichen Dienst warten die Medizinischen Fachangestellten aber noch immer. Und die Praxisbesitzer müssen als Dank für Ihren Einsatz in der Pandemie die Rücknahme der Neupatientenregelung hinnehmen und bei steigender Inflation zur Kenntnis nehmen, dass es auch im nächsten Jahr keinen Inflationsausgleich geben wird, der diesen Namen verdient. Eine Überlastungsanzeige hat niemand von ihnen geschrieben. Wozu auch. Sie würde ja nur mit einem müden Lächeln bedacht. Für die „Fachebene“ des Gesundheitsministeriums handelt es sich sowieso nur um die „üblichen Klagen der Ärzte auf hohem Niveau“.

 

Mitleid mit Lauterbach?

 

Richtig viel Grund zur Klage hat man hingegen im Bundesgesundheitsministerium. „Viele Beamtinnen und Beamten hatten gehofft, nach der Hochphase der Pandemie nun aufatmen zu können. Da hatten sie die Rechnung ohne Lauterbach gemacht.“ Ob diese Beamten wohl eine Ahnung davon haben, wie ihre Klage über Mehrarbeit bei den Leuten ankommt,

die sich während der Pandemie an vorderster Front abrackerten?

 

Ich glaube kaum. Sie befinden und bewegen sich in ihrer eigenen Welt. Daher verbieten sich an dieser Stelle auch Verbesserungsvorschläge oder Tipps zur Personalführung für unseren Gesundheitsminister. Zumal auch nicht anzunehmen ist, dass bei einer Steigerung der Arbeitseffizienz im Ministerium etwas Besseres herauskäme als bisher.

 

Soll man also jetzt wirklich Mitleid mit Karl Lauterbach haben? Naja, wir wollen es nun auch nicht übertreiben!

 

 

Quelle: https://www.aend.de/article/220930